Sind wissenschaftliche Fakten schädlich für das Zeiss-Marketing?

Ein offener Brief von Holger Merlitz


Nachdem Zeiss im August 2024 in seinem ZEISS Consumer Products Self-Service Portal einen Beitrag zur Verzeichnung der neuen SFL-Ferngläser freigeschaltet hatte (zur Referenz siehe hier), wurde dieser Artikel zwei Monate später wieder entfernt. Die Zeiss-Marketingabteilung übermittelte mir telefonisch, dass der Artikel u.a. Kontroversen ausgelöst habe, teilweise im Internet, und dass man daher mögliche negative Auswirkungen auf das Image des Produkts (also des SFL-Fernglases) bzw. der Firma Zeiss befürchten müsse. Aus diesem Grunde habe man sich dazu entschlossen, solche technischen/wissenschaftlichen Details zu den Ferngläsern in Zukunft nicht mehr zu publizieren.

Hier stellt sich natürlich die Frage, inwiefern die Kommunikation technischer Details zu einem technischen Produkt möglicherweise dessen Image - oder gar dem Image der Firma - schaden könnte. Ein Firmengeheimnis kann ebenfalls nicht betroffen sein, da die zugrundeliegende wissenschaftliche Arbeit längst publiziert ist und ohnehin jeder Konkurrent die Verzeichnungskurven nachmessen kann. Haben stattdessen etwa die durch diesen Artikel ausgelösten Kontroversen mit dem befürchteten Imageschaden zu tun? Die einzige mir bekannte Kontroverse wurde von Walter E. Schön, einem freiberuflichen Journalisten für Kameratechnik, ausgelöst, der auf seiner persönlichen Internetseite eine 'Alternativtheorie' zum Globuseffekt propagiert, deren Thesen jedoch nachweislich falsch und folglich auch nie in der Fachliteratur angekommen sind. Herr Schön nahm Anstoß sowohl an Form als auch Inhalt des Zeiss-Artikels und hat eigenen Angaben zufolge bei Zeiss eine Löschung dieses Artikels veranlasst. Ob dessen Intervention wirklich die Ursache für die Löschung war, bleibt ungewiss.

Ich halte jedoch den gesamten Vorgang für bedenklich: Der enorme Erfolg, den Zeiss in seiner langen Firmengeschichte verbuchen konnte, beruhte stets auf der fruchtbaren Zusammenarbeit von Grundlagenforschung, Ingenieurswissen und Marktverständnis, beginnend mit dem legendären Trio bestehend aus Carl Zeiss, Ernst Abbe und Otto Schott. Zeiss sollte mit Stolz und Selbstbewusstsein über die Forschung berichten, die in dessen Produkten steckt. Das Internet, inklusive kontroverser Diskussionen, ist nicht etwa ein Ärgernis, sondern eine große Chance für das Marketing, das es noch nie so leicht hatte, die Kunden zu erreichen und direkt anzusprechen. Zeiss sollte diese Chance nutzen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt zu kommunizieren, anstatt dem Hintergrundrauschen der Pseudowissenschaft Gehör zu schenken und dem Kunden technische Details und deren Bedeutung vorzuenthalten.


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Last updated: November 2024